Immer wieder beschreiben meine Gäste ganz bemerkenswerte Wirkungen, die von der kreativen Auseinandersetzung mit Holz auf sie ausgehen. Ich kenne diese Effekte selbst sehr gut.

Was macht ein Stück Holz mit dem Bearbeiter? Wie kommt es zu solch ausgeprägten Erlebniswirkungen? Und warum werden diese als therapeutisch empfunden?

Es ist einmal der Prozess selbst, der außergewöhnlich ist. Wo im modernen Leben kann man schon zweckfrei agieren, ohne Ziel, Plan und Rezept? Nur dem spontanen Einfall folgen und das tun, was einem gerade in den Sinn kommt. Nichts muss begründet werden, nichts ist zwingend. Es gibt keine absoluten Gütekriterien, das Ergebnis muss weder nützlich noch stabil sein. Man kann seine Meinung jederzeit ändern. Der Prozess ist überwiegend geprägt von Gefühlen, Empfindungen und von spontanen Entscheidungen aus dem Bauch, nicht von rationalen Erwägungen. Es gibt wenig zu denken, zu planen und schon gar nicht zu rechtfertigen. Der Verstand hat Urlaub.

Das Tun ist ein sehr sinnliches. Trotz Einsatz von Maschinen und Werkzeugen sind die Hände im Spiel. Anfassen, Fühlen, Riechen und Sehen stehen im Mittelpunkt. Ganz wesentlich ist der Werkstoff. Ein Stück Holz hat, wie der Bearbeiter selbst, eine ganz individuelle Geschichte. Es ist gewachsen und war wechselvollen Einflüssen ausgesetzt, hat auf diese reagiert, sich angepasst. Es hat Schäden davongetragen, Wunden erlitten und Narben gebildet. Das hat ihm - ebenso wie seinem Bearbeiter - einen individuellen Charakter gegeben und zu einem Unikat werden lassen. Holz hat eine Persönlichkeit.

Holz hat Struktur, Form - eine Haut (Rinde) und ein komplexes Innenleben (Jahresringe, Maserung, Richtungen und Richtungswechsel). Diese Differenzierung gibt ihm Gestalt. Nicht selten beschreiben meine Gäste ihr Werkstück als ein Sinnbild ihres Lebens oder ihrer selbst.

Holz inspiriert und vermittelt Erfahrungen, die zur Selbstfindung hilfreich sind. Holz bietet eine Projektionsfläche zur Selbstreflektion. Am besten gelingt es, wenn man spielerisch vorgeht, „der Natur entlang“ und nicht gegen sie. Wenn man bereit ist, auf die Eigenheiten seines Rohlings einzugehen und seinen Gestaltungswillen zu dosieren, kann Holz vieles bewirken.

Bei der kreativen Holzbearbeitung kommen zwei Persönlichkeiten zusammen und treten in einen Dialog. Jede bringt seine Geschichte mit, seine Unvollkommenheiten und Unzulänglichkeiten. Und gerade diese „Störgrößen“ sind es, die Kreatives auslösen. Manchmal ergänzen Maschine und Werkzeuge dieses Duett mit ihrer Eigendynamik. So geschieht immer wieder Unerwartetes und Überraschendes - wie im richtigen Leben.

Unsere modernen Gehirne ticken unter der verstandesgeprägten Oberfläche noch ziemlich steinzeitlich. Der zum Überleben nützliche Reflex, Unbekanntes sofort zu interpretieren, wird von einem bizarren Holzfindling unmittelbar angeregt. Es ist faszinierend, welche Figuren und Geschichten die Betrachter in ein Holzstück – ob bearbeitet oder unbearbeitet – hinein interpretieren oder aus ihm herauslesen, wie spontan das geht und zu welch unterschiedlichen „Lesarten“ unsere Gäste kommen. Holz regt die Fantasie ungemein an.